Brutale Sexualdelikte und Morddrohung

§ Prozess vor dem Landgericht Münster vom 26. Februar bis 4. März 2015 §

 

NORDKIRCHEN/MÜNSTER. Versuchte Vergewaltigung, Bissattacke ins Gesicht und Gewaltandrohung im Oktober 2012. Zweimalige brutale Vergewaltigung im November sowie Morddrohungen: So lauteten die Vorwürfe gegen einen 25-jährigen Nordkirchener, die der Staatsanwalt am 26. Februar vor dem Landgericht Münster vortrug. Als Nebenklägerin im Saal saß das mutmaßliche Opfer: eine Nordkirchenerin, die 2012 eine Beziehung zum Angeklagten hatte.

Der Angeklagte wies die Vorwürfe zurück. Er habe seine Freundin geliebt und noch nie einer Frau Gewalt angetan. Er räumte ein, dass es eine schwierige Beziehung war. Einmal habe er sich sogar umbringen wollen. Vom 6. auf den 7. Oktober 2012 habe man in der Wohnung seiner Freundin gefeiert. Er sei dann nach Hause gegangen. Als er am nächsten Morgen sein Handy abholen wollte, habe er sie mit einem anderen Mann im Bett vorgefunden. Trotzdem hätten sie die Beziehung wieder aufgenommen und ein reges Sexualleben geführt.
 
Freundin mit einem anderen Mann im Bett vorgefunden 
 
Dabei räumte der Angeklagte ein, dass er es gerne „ein bisschen härter“ habe, inklusive Beißen und Kratzen. Niemals aber habe er etwas gegen ihren Willen getan. Auch am 3. und 4. November sei der Geschlechtsverkehr einvernehmlich gewesen. Vom Tatvorwurf der Vergewaltigung habe er erst bei seiner Verhaftung am 5. November erfahren. Das stand im Widerspruch zu Polizeiprotokollen, Gesprächen mit Angehörigen und einem Protokoll des SMS-Austauschs zwischen dem Angeklagtem und seiner Freundin.  So deutete gestern alles auf einen zähen Prozessverlauf hin. Doch dann die Wende: Der Rechtsanwalt des Angeklagten schlug vor, sein Mandant würde Teile der Anklage einräumen, wenn die Strafe sich auf zwei Jahre mit Bewährung belaufen würde. 
 
Gericht und Staatsanwalt wollen ausnahmsweise einem Deal zustimmen
 
Gericht und Staatsanwalt betonten, dass sie von solchen Deals nichts hielten, in diesem Fall aber im Interesse des mutmaßlichen Opfers eine Ausnahme machen würden. Die junge Frau brauche dann nicht auszusagen. Allerdings sei mit Bewährung nicht zu rechnen, von drei Jahren Strafe müsste man ausgehen.  Auf einen Deal mit diesem Umfang wollte die Verteidigung nicht sofort eingehen. Bis Freitag wolle sich der Angeklagte beraten und mitteilen, ob er zu einem Geständnis bereit sei. Die Kammer vertagte den Prozess auf Montag. 
 
3. März: Angeklagter räumt sämtliche Vorwürfe ein
 
Radikaler Wandel binnen weniger Tage: Im Nordkirchener Vergewaltigungsprozess am Landgericht in Münster steht nicht mehr Aussage gegen Aussage. Gestern räumte der 25-jährige Angeklagte die gegen ihn erhobenen Vorwürfe in vollem Umfang ein. Das Geständnis trug er allerdings nicht selbst vor, sondern sein Rechtsanwalt Ulf Kallin. Während der 25-Jährige am vergangenen Mittwoch noch mit fester Stimme versichert hatte, noch nie einer Frau Gewalt angetan zu haben, beschränkte er sich gestern auf vorsichtiges Kopfnicken zu den Ausführungen seines Verteidigers. Bestenfalls kam ein leises „Ja“ auf Nachfragen der Richter über seine Lippen. 
 
Opfer im Zeugenstand: Sohn schlief während der Tat nebenan
 
Der Vorsitzende Eberhard Groesdonk hatte eine „Verständigung“ auf ein kurzes Verfahren und ein mildes Urteil von einem Geständnis des Nordkircheners abhängig gemacht. Als das nun vorlag, stimmten auch der Staatsanwalt und die Nebenklägerin einem solchen Deal zu. Trotzdem wurde das Vergewaltigungsopfer, eine 23-jährige Nordkirchenerin, in den Zeugenstand gerufen. Zwar musste die junge Frau den Tathergang nicht noch einmal schildern. Allerdings verlas der Richter ihre Aussagen vor der Polizei über die Gewalttaten und die Morddrohungen. Er müsse sie nun umbringen, hatte der Angeklagte seiner ehemaligen Freundin nach der zweiten Vergewaltigung am 4. November 2012 gedroht. „Zeit zum Sterben“, waren seine Worte laut Polizei-Protokoll. Darauf packte er ihren Kopf und versuchte ihn heftig umzudrehen. Während dieser Taten schrie die junge Frau nicht um Hilfe, weil ihr kleiner Sohn im Nebenzimmer schlief. 
 
Ständige Angst vor der Gewalt des Freundes
 
Danach litt die Frau wochenlang unter Schlaflosigkeit und ständiger Angst. Sie war längere Zeit krankgeschrieben und wechselte die Wohnung. Nach dem Ende des Prozesses möchte sie eine Therapie beginnen, sagte sie dem Gericht. Während dieser Schilderungen saß ihr ehemaliger Freund reglos auf der Anklagebank. Am 4. März wird der Prozess mit der Aussage des ermittelnden Polizeibeamten fortgesetzt. Außerdem will Richter Groesdonk Passagen aus einem umfangreichen Chat-Protokoll verlesen. Diesen SMS-Austausch hatten Opfer und Angeklagter zwischen den Taten im Oktober und November 2012 geführt. Je nach Verlauf der Verhandlung könnte das Gericht schon am 4. März ein Urteil fällen.
 
4. März: Achterbahnfahrt des Angeklagten nervt das Gericht
 
Zwei Jahre und zehn Monate Gefängnis verhängte die 11. Große Strafkammer des Landgerichts Münster gestern nach einer wahren Achterbahnfahrt gegen den 25-jährigen Nordkirchener. Folgende Taten sah das Gericht als erwiesen an: versuchte Vergewaltigung und Körperverletzung am 7. Oktober 2012, zweifache Vergewaltigung und versuchte Nötigung mit Tötungsdrohung in der Nacht vom 3. auf den 4. November 2012. Nach dem Geständnis vom Montag sah gestern zunächst alles nach einem schnellen Prozessende aus. Der Kriminalbeamte, der das Opfer vernommen hatte, schilderte die Aussagen der heute 23-Jährigen als schlüssig und glaubhaft. Die Beweisaufnahme wurde geschlossen. Staatsanwalt, Nebenklage-Anwältin und Verteidiger trugen ihre Plädoyers vor und hielten dem Angeklagten sein Geständnis zugute. Allerdings betonte die Anwältin des Opfers, dass sie sich ein deutlicheres Geständnis und eine Entschuldigung des 25-Jährigen bei ihrer Mandantin gewünscht hätte. Denn die hätte ein wahres Martyrium durchgemacht. 
 
Staatsanwalt: "Sie reden sich hier um Kopf und Kragen"
 
Das Gericht wollte sich zur Urteilsfindung zurückziehen und gab dem Angeklagten das letzte Wort. Das hatte es in sich: „Ich entschuldige mich nur für Sachen, die ich wirklich gemacht habe.“ Dies wertete das Gericht als Widerruf des Geständnisses. So war es dann auch. Die Beweisaufnahme wurde wieder eröffnet und der Angeklagte erklärte: „Ich bin unschuldig. Ich habe keine Lust mehr.“ Der Sex mit seiner früheren Freundin sei immer einvernehmlich gewesen. Nun verlor der Staatsanwalt die Geduld: „Sie reden sich hier um Kopf und Kragen. Wenn wir Ihnen die Taten nachweisen können, dann schießt das Strafmaß nach oben.“ 
 
Rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung
 
Doch nach der Mittagspause kam die erneute Wende. Nun erklärte der Angeklagte: „Ich gestehe die Schuld in allen Punkten ein. Es tut mir leid.“ Den zwischenzeitlichen Widerruf des Geständnisses erklärte er damit, dass ihm die Taten peinlich seien. Diese Erklärung bewog das Gericht zu einem relativ milden Urteil. Der Staatsanwalt hatte drei, die Opferanwältin fünf Monate mehr gefordert. Ein halbes Jahr zog das Gericht wegen „rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung“ von der Strafe ab. Der Prozess hätte eigentlich schon 2013 stattfinden müssen. Aber das Gericht war mit Arbeit total überlastet.  

 

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