Zeitungsgeschichten 

 

 

Freispruch: Notwehr gegen sexuelle Angriffe

1982 löste ein Urteil am Landgericht Münster viel Wirbel aus. Ich war als junger freier Mitarbeiter für den Westfälischen Anzeiger aus Hamm im Gerichtssaal. Das Drama, das am Landgericht verhandelt wurde, hatte sich auf einem Hammer Bauernhof abgespielt. Angeklagt war die Magd des Hofes, die den Knecht erstochen hatte. 
 
"Magd und Knecht": Diese Bezeichnungen für landwirtschaftliche Mitarbeiter standen damals noch so in der Anklageschrift. Die junge Frau war als Kind vergewaltigt worden und litt unter den Folgen dieses Verbrechens. Von ihrer eigenen Mutter erfuhr sie statt Hilfe nur Ablehnung. Auf dem Bauernhof hatte sie panische Angst vor dem Kollegen. Denn immer wenn der „Knecht“ getrunken hatte, wurde er zudringlich. Die junge Frau hatte sich deshalb aus mit einem Messer bewaffnet, das sie praktisch immer bei sich trug.
 
Wegweisendes Urteil
 
Eines Tages kam es offenbar tatsächlich zu einer massiven sexuellen Belästigung. Die Frau nahm das Messer, um sich zu wehren. Sie stach zu, der Mann verblutete.  Und nun stand die Frau unter Mordanklage. Viele Beobachter rechneten mit einem milden Urteil wegen der traumatischen Erlebnisse der jungen Frau in ihrer Kindheit und danach wieder auf dem Bauernhof. Aber das Gericht billigte der Frau Notwehr zu und sprach sie frei. Dieses Urteil werteten viele als Sensation. Es war wegweisend für Frauen, die unter sexuellen Angriffen litten. Damals war das in weiten Bereichen der Gesellschaft noch ein Tabu-Thema.
 
8 DM Honoarar für einen Tag Arbeit
 
Die Redakteure des Westfälischen Anzeigers erkannten die Tragweite des Richterspruchs allerdings nicht. Sie kürzten meinen 80 Zeilen langen Bericht auf 40 Zeilen zusammen und bezahlten mir dafür 20 Pfennig Zeilengeld. Das waren 8 DM für einen ganzen Tag Arbeit. Damals wusste ich noch nicht, dass für Gerichtsreportagen eigentlich Honorarpauschalen gezahlt werden mussten. 
 
Riesengroßes Medieninteresse
 
Der Kollege von der Münsterschen Zeitung hingegen, wie ich freier Mitarbeiter, verdiente sich an diesem Tag eine Menge Geld. Nachdem er seinen Bericht für die MZ fertig geschrieben hatte, telefonierte er den Text an ein rundes Dutzend andere Zeitungen und Zeitschriften durch, die sich nach dem Urteil gemeldet hatten. Denn von den Boulevardblättern über die bunten Zeitschriften bis hin zur feministischen Presse wollten das alle drucken.
 
Bild-Kollege wedelt mit Banknoten
 
Was aber weder er noch ich oder die anderen Medienvertreter im Gerichtssaal bekamen, war ein Interview mit der frei gesprochenen jungen Frau. Mit einer Ausnahme und das war der Reporter der Bild-Zeitung. Er wedelte – und das ist wörtlich zu nehmen – mit einigen Hundertmarkscheinen, nahm die junge Frau am Arm und verschwand mit ihr in seinem Porsche.
 
Pointe frei erfunden

 

Am nächsten Tag stand eine rührselige Geschichte in Bild. Der herzzerreißende Höhepunkt: Überglücklich verließen Mutter und Tochter nach dem Freispruch Arm in Arm den Gerichtssaal. Das war komplett gelogen. Denn alle anderen hatten gehört und gesehen, dass die Mutter ihre angeklagte Tochter in und nach dem Prozess wüst beschimpft hatte und alles andere als glücklich war. 

Foto: flickr / Alle Rechte vorbehalten von: blende6

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Und nichts Sensationelleres gibt es in der Welt als die Zeit, in der man lebt!