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  Zeitungsgeschichten

 

 

Lokalreporter, Lehrer, Landwirt

Meine erste Stelle als Redakteur trat ich 1984 in der Redaktion der Münsterschen Zeitung in Drensteinfurt an. Hier gab es noch keinen Computer. Alle schrieben ihre Texte mit einer Schreibmaschine auf Papier. Die Redakteure genau wie die freien Mitarbeiter. Und der allererste dieser Freien, den ich kennenlernte, war ein Unikum, ein echtes westfälisches Original: Opa Holtman.

Opa Holtmann, wie Bernard Holtmann von allen im Ort genannt wurde, war damals schon 84 Jahre alt. Ein rundes halbes Jahrhundert lang war er der einzige Reporter im Ort. Und er bediente fünf Zeitungen: die Münstersche Zeitung, die Westfälischen Nachrichten, den Westfälischen Anzeiger, das Ahlener Tageblatt und das Heimatblatt: die Dreingau-Zeitung. Damit war das kleine Drensteinfurt neben Hamburg und Berlin die Stadt mit der größten Pressevielfalt in ganz Deutschland. Schon damals waren die meisten deutschen Regionen Ein-Zeitungs-Kreise. Ein zweites Blatt war oft schon Luxus.

Ein Reporter, fünf Zeitungen

Jedenfalls erzählte mir Opa Holtmann einmal stolz, dass er sich mit dem fünffachen Zeilengeld im Laufe der Jahrzehnte eine stattliche Summe zusammen geschrieben hatte. Von seinen Honoraren legte er jede Mark und jeden Pfennig auf die hohe Kante oder kaufte davon Land für seinen Bauernhof. Mit diesem Hof ernährte er seine Familie. Dabei war er Lokalreporter nur im Dritt- und Landwirt nur im Zweitberuf. Sein Hauptberuf war nämlich Lehrer. Bernard Holtmann war sehr fleißig und sehr sparsam. Zu all seinen Terminen als Reporter und auch zu seinen Schulen fuhr er bei Wind und Wetter mit dem Fahrrad. Seine erste Schule war über 30 Kilometer von Drensteinfurt entfernt. “Urlaub und Freizeit sind der Ruin der Menschheit”, lautete seine Devise.

Rationell in Form und Inhalt

Seine Texte tippte Bernard Holtmann auf hauchdünnem Papier mit fünf Durchschlägen für die fünf Zeitungen. Das Original landete in einem seiner dicken Aktenordner. Briefumschläge wurden mehrfach benutzt. Nach einiger Zeit kam ich auf den Trichter, dass Opa Holtmann nicht nur mit dem Papier, sondern auch mit dem Inhalt sehr rationell umging. Es war ein Bericht vom Schützenfest, der mir sehr bekannt vorkam. Ich suchte die Artikel vom Vorjahr und vom vorvergangenen Jahr aus unserem Archiv heraus. Und richtig: Die Text waren immer die gleichen. Nur die Namen des Königspaares, die Anzahl der Schüsse und die Uhrzeit des Königsschusses hatte Bernard Holtmann aktualisiert. Niemand nahm ihm das übel. In der Heimatzeitung waren tatsächlich viele Jahre lang immer die fast gleichen Holtmann-Texte zu lesen.

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Verblüffte Bankgenossen

Dafür war die Heimatzeitung dank Opa Holtmann manchmal das schnellste Blatt weit und breit. Sie erschien und erscheint immer noch mittwochs und samstags. Damals wurde die Samstagsausgabe aber bereits freitagabends verteilt. Und da trug es sich einmal zu, dass Bernard Holtmann eine Presseerklärung der Volksbank verarbeitet hatte. Darin ging es um den Geschäftsbericht des Vorstands. Die Vertreterversammlung der Bank fand am Freitagabend statt. Als die Mitglieder des Gremiums den Sitzungssaal betraten, lag dort die frisch gedruckte Dreingau-Zeitung. Der entnahmen die verblüfften Genossen der Volksbank, dass sie ihren Vorstand für dessen erfolgreiche Arbeit gleich einstimmig entlasten würden.






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Bernard Holtmann. Foto:Stadtarchiv Drensteinfurt

 

Gegen den Friedhofszwang

Nur einmal in seinem langen Leben verließ Bernard Holtmann den Kurs der Sparsamkeit radikal. Seinen Hof in der Drensteinfurter Bauerschaft Mersch bezeichnete er stets als den Mittelpunkt Europas. Hier und nicht auf dem städtischen Friedhof sollte nach seinem Tod die Urne mit seinen sterblichen Überresten begraben werden. Dafür investierte er viel Zeit und Geld. Er strengte einen Prozess gegen den deutschen Friedhofszwang an und zog bis vor das Bundesverwaltungsgericht. Mehr dazu hier:                      

   §Holtmann§

 

Bernard Holtmann legte bis in hohe Alter alle Fahrten mit dem Rad zurück. Foto: Stadt Drensteinfurt                     

Drensteinfurts damaliger Bürgermeister Albert Leifert gratulierte Bernard Holtmann zu dessen 85.Geburtstag.  Foto: Stadt Drensteinfurt


Und nichts Sensationelleres gibt es in der Welt als die Zeit, in der man lebt!