Stundenlanges Martyrium mit der Absicht zu töten

§ Prozess am Landgericht Münster im November und Dezember 2016 §

Für den Staatsanwalt war es Mordversuch

Lüdinghausen. Es ist die Nacht vom 27. auf den 28. Mai 2016: Am frühen Samstagmorgen finden Angler am Kanalseitenweg in Lüdinghausen einen schwer verletzten  19-jährigen Münsteraner. Über Stunden wurde der junge Mann gequält, gewürgt und mit mehreren Messerstichen verletzt. Im Krankenhaus wird er durch eine Notoperation gerettet. Ein halbes Jahr später stehen seine Peiniger vor Gericht.

Ab dem 23. November 2016  mussten sich eine junge Frau im Alter von 17 Jahren sowie zwei 18 und 19 Jahre alte Männer vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Münster, einer der beiden Jugendkammern, für die Tat verantworten. Zwei der drei Beschuldigten waren Schüler des St. Antonius-Gymnasiums in Lüdinghausen. Einer der Schüler stammt aus Nordkirchen, die beiden anderen Angeklagten aus Ascheberg und Lünen.

Rache für angebliche Vergewaltigung

Die Staatsanwaltschaft warf ihnen vor, den Münsteraner in der Tatnacht am Dortmund-Ems-Kanal in einen Hinterhalt gelockt zu haben, um ihn für eine angebliche Vergewaltigung der Angeklagten zu bestrafen und zu töten. Nach dem gemeinsamen Tatplan soll die  junge Frau dem Opfer vorgespielt haben, sich mit ihm dort alleine treffen zu wollen, um sich mit ihm zu unterhalten und eventuell auch Zärtlichkeiten auszutauschen. Vor Ort sollen die beiden anderen Beschuldigten auf ein verabredetes Zeichen hin aus ihrem Versteck gekommen sein. Laut Anklage sollen dann alle drei den Münsteraner  angegriffen und in ein nahe gelegenes Waldstück gebracht haben, um ihn dort bis zu seinem Tod erniedrigen und quälen zu können.

Das Opfer mit Kabelbindern gewürgt

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass sich die Tortur über mehrere Stunden hinzog.  Dabei sollen die Angeklagten unter anderem versucht haben, das Opfer mit Kabelbindern zu erwürgen. Außerdem soll einer der Angeklagten ihm tiefe Schnittverletzungen in der Bauchdecke und der Halsvorderseite zugefügt haben. Die Angeklagten sollen den Tatort schließlich fluchtartig verlassen haben, weil sich mehrere Personen näherten.

Angler retten den jungen Mann

Das Opfer taumelte dann im Bereich der Straße Rohrbach aus einem Waldstück in die Arme der Angler, die erste Hilfe leisteten und sofort Polizei und Rettungskräfte alarmierten. Den kurz darauf eintreffenden Polizisten fiel in der Nähe des Kanals ein geparkter Wagen auf, in dem die drei Tatverdächtigen saßen. Sie machten widersprüchliche Angaben. Die Beamten  nahmen die drei vorläufig fest. In ihren Vernehmungen stellten sie die Misshandlungen des 19-Jährigen als Bestrafung dar. Der Münsteraner soll die 17-Jährige eine Woche zuvor vergewaltigt haben, was diese aber nicht bei der Polizei angezeigt hatte. Ein Richter ordnete gegen die drei Tatverdächtigen Untersuchungshaft wegen versuchten Mordes an. 

 

Hier die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Münster  als pdf-Datei zum Download

 

Sieben Prozesstage und reges Interesse

Ich beobachtete den Prozess von Anfabg bis Ende und schrieb darüber für den Westfälischen Anzeiger. Hier die Prozessberichte in der Online-Ausgabe der Zeitung:

1. Prozesstag: Schwere Misshandlungen

2. Prozesstag: Täter widersprechen sich

3. Prozesstag: Opfer schildert Todesangst

4. Prozesstag: Freunde waren eingeweiht

5. Prozesstag: Angeklagte voll schuldfähig

6. Prozesstag: Die Plädoyers der Anwälte

7. Prozesstag: Urteil kurz vor Weihnachten

 

Aus Mordversuch wird Totschlagsversuch

Das Urteil fällte die Strafkammer am 20. Dezember: Sechs Jahre für die 17-jährige Aschebergin, fünf Jahre und drei Monate für den 18-jährigen Nordkirchener, vier Jahre und neun Monate für den 19-Jährigen aus Lünen. Aus dem Mordversuch in der Anklage wurde ein versuchter Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher und schwerer Körperverletzung sowie Freiheitsberaubung. Die erforderlichen Mordmerkmale wie Heimtücke, Verdeckung einer anderen Straftat oder niedere Beweggründe hielt die Kammer für nicht gegeben.

Richter: "Alle Tatvorwürfe sind bewiesen"

Inhaltlich räumte der vorsitzende Richter Beier alle Tatvorwürfe als bewiesen ein. So habe die Ascheberger Schülerin ihre beiden Freunde mit einer erfundenen Vergewaltigung zu dem Rachefeldzug gegen das damals 19-jährige Opfer angestachelt. Gemeinsam hätten die drei den jungen Mann am Abend des 27. Mai 2016 in die Nähe der Eisenbahnbrücke am Kanal in Lüdinghausen gelockt. Dort hätten sie ihn stundenlang gefoltert und so schwer verletzt, dass er nur mit viel Glück überlebte.

Brutale Hiebe mit Totschläger auf den Kopf

Die fortgesetzte Tötungsabsicht sah das Gericht bei allen Angeklagten als erwiesen an. Ein zwischenzeitlicher Rücktritt von dieser Absicht sei nicht zu erkennen. Vielmehr sei die Gewalt mit mehrfachen Erdrosselungsversuchen, brutalen Totschläger-Hieben auf den Kopf sowie lebensgefährlichen Schnittwunden immer weiter gesteigert worden. Der Schnitt am Hals habe sogar wie eine gewollte Hinrichtung ausgesehen. Auch als sie Geräusche auf der Brücke hörten und flohen, seien die Täter davon ausgegangen, dass der Münsteraner sterben würde.

Sehr unterschiedliche Geständnisse

Die Vergewaltigungsgeschichte, so Richter Beier, hätten die beiden jungen Männer hinterfragen können. Denn zuvor hatte ihre Freundin auf WhatsApp angedeutet, dass ihr  Geschlechtsverkehr mit dem späteren Opfer freiwillig war, sich sogar selbst als Schlampe bezeichnet und der „Hurerei“ beschuldigt. Für alle drei Angeklagten sprach, dass sie nicht vorbestraft waren und die Taten einräumten. Allerdings fielen die Geständnisse unterschiedlich aus. Nur der Lünener gestand bei der Polizei alles von Anfang ein. Die beiden anderen klammerten sich anfangs an eine verabredete Story von einer angeblichen Notwehr gegenüber dem Münsteraner.

Entschuldigungen kommen nicht an

Eine Stunde vor der Urteilverkündung hatten sich die drei Angeklagten in ihren Schlussworten an den Nebenkläger gewandt und um Vergebung gebeten. Die 17-Jährige sprach auch ihre beiden Freunde an: „Ich möchte mich bei euch und euren Familien entschuldigen, weil ich euch mit reingezogen habe. Es tut mir unendlich leid.“ Das Opfer reagierte darauf mit Unverständnis und sagte: „Da hat sie nochmal auf die Tränendrüsen gedrückt, damit die Strafe nicht so hoch ausfällt.“ Bei der Strafkammer kam das anders an. Diesmal habe die Entschuldigung der 17-Jährigen aufrichtig geklungen“, so Richter Beier. Wenige Minuten vorher hatte er ihr bei der Würdigung der Tatmotive noch manipulative Tendenzen bescheinigt.

Strafmaß unter den Anträgen der Anklage

Mit dem Strafmaß blieb das Gericht bei allen Angeklagten unter den Anträgen der Staatsanwaltschaft, im Fall der Aschebergerin sogar am anderthalb Jahre. Der Staatsanwalt wollte keinen Kommentar abgeben. Und der Anwalt des Nebenklägers, Dr. Dirk Pleger, mochte noch nichts zu einer möglichen Revision  sagen: „Über dieses Urteil muss man erstmal schlafen“, stellte er fest.

 

         

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Verteidiger gehen in Revision

Schon zwei Tage nach der Urteilsverkündung stand fest: In dem Folterprozess ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Denn gegen die Entscheidung der Strafkammer legten die Verteidiger der drei Angeklagten Revision am Bundesgerichtshof ein.

„Körperverletzung ohne Tötungsabsicht"

Obwohl das Gericht den Mordversuch auf einen versuchten Totschlag reduziert hatte und mit dem Strafmaß unter den Forderungen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers geblieben war, hielten die Verteidiger die Strafen für zu hoch. Sie stellten die Tötungsabsicht ihrer Mandanten in Abrede. „Wir wollen das ganze Urteil noch einmal überprüfen lassen“, erklärte Stefan Kreuels, der Verteidiger des 19-Jährigen. Deshalb habe man die Revision auch nicht auf das Strafmaß beschränkt. Genauso sah es Regine Thoden, die die Ascheberger Schülerin verteidigt: „Wir möchten schon klären, ob überhaupt ein versuchtes Tötungsdelikt vorliegt. Wir gehen nach wie vor von Körperverletzung aus. Den schwersten Part der Anwälte dürfte Michael Amsbeck, der Verteidiger des Nordkircheners, haben. Denn sein Mandant hatte dem Opfer die tiefen Schnitte mit dem Cuttermesser zugefügt, an denen es fast verblutet wäre.

Staatsanwalt verzichtet auf Rechtsmittel

Die Staatsanwaltschaft verzichtete auf Rechtsmittel gegen das Urteil. Das hatte zunächst auch die Nebenklage vor. Doch nach den Anträgen der Verteidiger stellte der Anwalt des Opfers Dr. Dirk Pleger auf Anfrage fest, dass er sich der Revision wahrscheinlich anschließen werde: „Ich muss das natürlich erst mit meinem Mandanten besprechen. Aber ich denke, wir werden das jetzt tun. Das kann für die Gegenseite leicht nach hinten losgehen. Denn wir erkennen bei der Tat sehr wohl Mordmerkmale.“

Nebenklage bleibt beim Mordversuch

Zumindest Heimtücke lässt sich bei der Vorbereitung und Durchführung der Tat nicht ausschließen. Die Aschebergerin hatte das Opfer unter dem Vorwand, mit ihm reden und vielleicht auch kuscheln zu wollen, in einen Hinterhalt gelockt. Dort sprühte sie ihm plötzlich Pfefferspray ins Gesicht und rief dann ihre Freunde aus dem Versteck.

Nun hat der Bundesgerichtshof das Wort

Der Bundesgerichtshof hat nun verschiedene Möglichkeiten. Er kann die Revision abweisen. Er kann das Urteil ändern. Oder er kann es aufheben und an das Landgericht Münster zurück verweisen. Eine andere Kammer müsste sich dann erneut damit befassen. Das Opfer kommt jedenfalls erst einmal nicht zur Ruhe. Die Entscheidung des BGH wird wohl ein halbes Jahr auf sich warten lassen.

 

 

 

 

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Der über viele Stunden gepeinigte junge Nebenkläger mit seinem Rechtsanwalt  Dr. Dirk Pleger.                                               Foto: Münch

 

Staatsanwalt Ralf Tyborczyk sah den Mordversuch als erwiesen an.                                                                                                  Foto: Münch

 

Komplett gefüllt waren die Zuhörerbänke im großen Saal des Landgerichts fast an jedem Prozesstag. In der ersten Reihe saß unter anderem die Familie des Opfers. Auch Eltern der Täter waren im Saal.                                                                                         Foto: Münch

 

Die Besucherschlange am Eingang zum Landgerichts war kurz vor Prozessbeginn noch lang.                                                       Foto: Münch

 

Zum Prozessauftakt war der große Saal des Landgerichts voll mit Reportern, Fotografen und Kameraleuten.                         Foto: Münch

 

Dr. Dirk Pleger (l.), Rechtsanwalt des Opfers, im Gespräch mit Staatsanwalt Ralf Tyborczyk.                                                Foto: Münch

 

Regine Thoden war die Rechtsanwältin der Ascheberger Schülerin, die mit ihrem falschen Vergewaltigungsvorwurf ihre Freunde zu der Bluttat angestiftet hatte.                                                          Foto: Münch

 

Rechtsanwalt Stephan Kreuels  verteidigte den mitangeklagten  19-jährigen Auszubildenden aus Lünen.                                   Foto: Münch

 

In diesem Fahrzeug wurde die 17-jährige Ascheberger Schülerin aus ihrer Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Bielefeld zum Landgericht nach Münster gebracht.                          Foto: Münch

 

Auch am Tag der Urteilsverkündung war der Medienrummel im Landgericht noch einmal groß.                                              Foto: Münch

 

Ausbildung im Gefängnis 

Die drei Verurteilten verbüßen ihre Strafen in verschiedenen Jugendgefängnissen in NRW. Dort haben sie jeweils Ausbildungen begonnen. Die beiden Schüler standen kurz vor ihrem Abschluss am St. Antonius-Gymnasium in Lüdinghausen, der Lünener wollte bald seine  Ausbildung bei der VKU beenden. Zunächst können sie ihr Abitur bzw. die VKU-Lehre nicht abschließen. Das wird erst möglich sein, wenn sie bei guter Führung in den offenen Strafvollzug  wechseln.

   

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